ZBB 2023, 69
Unabhängigkeit der Finanzmarktaufsicht
Das deutsche Modell einer ministeriell gesteuerten Verwaltung gerät zunehmend unter Druck. Denn im europäischen und internationalen Vergleich ist der Typus der „independent agency“, die allein dem Parlament verantwortlich ist, weit verbreitet. Nachdem das Unionsrecht schon die politische Unabhängigkeit der mitgliedstaatlichen Datenschutzaufsicht und der Bundesnetzagentur erzwungen hat, erteilte nunmehr das BVerfG in seinem Urteil zur Bankenunion der unionsrechtlich geforderten Entlassung der BaFin in den ministerialfreien Raum seinen verfassungsrechtlichen Segen, soweit die Bundesanstalt im Rahmen des Einheitlichen Europäischen Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus tätig ist. Der Beitrag analysiert die unions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Rechtsstellung der europäischen und deutschen Finanzmarktaufsichtsbehörden und bewertet die Leistungsfähigkeit der divergierenden Modellannahmen. Im Ergebnis plädiert er dafür, die BaFin vollständig von der Rechts- und Fachaufsicht durch das Bundesfinanzministerium zu befreien.
Inhaltsübersicht
- I. Zur Problemstellung: Der Fall „Wirecard“ als Menetekel
- II. Die politische Unabhängigkeit von Behörden als unionsrechtliches Postulat
- 1. Das europäische Modell unabhängiger EU-Finanzaufsichtsbehörden
- 1.1 Normativer Befund
- 1.2 Sachgründe für die Unabhängigkeit
- 1.3 Accountability als Legitimationsmodus
- 2. Anforderungen an die Unabhängigkeit mitgliedstaatlicher Behörden
- 2.1 Keine Organisationsautonomie der Mitgliedstaaten qua Unionsrecht
- 2.2 Anforderungen an die Unabhängigkeit nationaler Finanzmarktaufsichtsbehörden
- III. Die Unabhängigkeit von Behörden im deutschen (Verfassungs-)Recht
- 1. Das „Verbot ministerialfreier Räume“ als Element demokratischer Legitimation
- 2. Flexibilisierungen und Öffnungen
- 2.1 Pluralisierung der Legitimationssubjekte: Anerkennung autonomer Legitimation
- 2.2 Pluralisierung der Verwaltung: Legitimation durch Rechenschaftspflicht
- 3. Folgerungen für die Finanzmarktaufsicht
- 3.1 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer ministerialfreien Finanzmarktaufsicht
- 3.2 Konsequenzen für die Anwendbarkeit von § 2 FinDAG
- IV. Vergleich der Leistungsfähigkeit der Legitimationsmodelle
- 1. Gewährleistung und Gefährdungen der sachlich-funktionalen Unabhängigkeit
- 1.1 Pluralistisches Modell: Horizontale Verschränkungen und Zielkonflikte im ESFS
- 1.2 Hierarchisches Modell: Die „operative Unabhängigkeit“ der BaFin
- 1.2.1 Ausgestaltung durch Grundsätze
- 1.2.2 Die „operative Unabhängigkeit“ in der Aufsichtspraxis
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- 2. Gewährleistung von Legitimationsvermittlung und Verantwortungszurechnung
- 2.1 Pluralistisches Modell: Notwendige Ergänzungen der parlamentarischen Kontrolle
- 2.1.1 Die Reichweite von parlamentarischer oversight
- 2.1.2 Wirksamkeit komplementärer Legitimationsvermittlungen
- 2.2 Hierarchisches Modell: Überschätzung und Verantwortungsdiffusion
- V. Resümee
- *
- *)Prof. Dr. iur., Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Rechtsvergleichung und Europarecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den die Autorin am 24. 6. 2022 auf dem Bankrechtstag in Frankfurt/M. gehalten hat. Der Text wird auch im Tagungsband erscheinen.
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