RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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2199-1715
Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft
ZBB
2023
RechtsprechungOberlandesgerichteKapMuG §§ 1, 8 Abs. 1 Satz 1; WpHG v. 3. 7. 2015 § 37b; WpHG v. 30. 6. 2016 § 37c; BGB § 823 Abs. 2, §§ 826, 830 Abs. 2; ZPO § 252Aussetzung eines Verfahrens gegen Abschlussprüfer der Wirecard-AG im Hinblick auf landgerichtlichen Vorlagebeschluss
KapMuG§ 1
KapMuG§ 8
WpHG v. 3.7.2015§ 37b
WpHG v. 30.6.2016§ 37c
BGB§ 823
BGB§ 826
BGB§ 830
ZPO§ 252
OLG München, Beschl. v. 19.09.2022 – 8 U 8302/21, NJW-RR 2022, 1563 = WM 2022, 2067OLG MünchenBeschl.19.9.20228 U 8302/21NJW-RR 2022, 1563WM 2022, 2067
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht i. S. v. § 8 KapMuG von den geltend gemachten Feststellungszielen ab, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebung entscheidungsreif ist. Dabei hat nicht etwa lediglich eine kursorische Schlüssigkeitsprüfung stattzufinden, sondern eine volle Sachprüfung nach Grund und Höhe des Anspruchs. Wenn und soweit die Klage – ggf. nach entsprechendem Hinweis gem. § 139 ZPO – unschlüssig oder ohne ausreichende Beweisangebote ist, ist sie abzuweisen und nicht das Verfahren auszusetzen.
2. Beim Erwerb von Aktien spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der behaupteten Machenschaften und der damit verbundenen Insolvenzgefahr nicht gekauft hätten. Deshalb können sich Anleger beim Erwerb von Aktien auf einen Erfahrungssatz berufen und müssen zu ihrer Kaufmotivation weder individuell vortragen noch hierfür Beweis anbieten (Bestätigung OLG München, Hinweisbeschl. v. 9. 12. 2021 – 8 U 6063/21, BeckRS 2021, 43191).
3. Bei Investments mit rein spekulativem Charakter besteht dagegen kein derartiger Erfahrungssatz. Deshalb ist im Falle des Erwerbs von Aktien-Derivaten neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der entsprechenden Geschäfte und deren Abhängigkeit vom Kurs der W.-Aktie ggf. auch eine konkrete Darlegung und ggf. ein konkreter Nachweis der individuellen Kausalität – die von dem Vorlagebeschluss ausdrücklich nicht erfasst wird – erforderlich (Bestätigung OLG München, Beschl. v. 16. 11. 2021 – 8 W 1541/21, NZG 2022, 239, Rz. 16, zu Optionsscheinen).
4. Die Abhängigkeit von den Feststellungszielen i. S. v. § 8 KapMuG ist bei der Aussetzungsentscheidung durch das Prozessgericht abstrakt zu beurteilen; deshalb genügt es, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abhängen kann. Es ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher übriger Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen nur noch von den Feststellungszielen abhängt. Bei der Beurteilung dieser Fragen hat der Gesetzgeber dem Prozessgericht einen gewissen Beurteilungsspielraum eingeräumt (Abweichung von BGH, Beschl. v. 30. 4. 2019 – XI ZB 13/18).